
Wie lernt ein Kind lesen?
Wie Kinder lesen lernen – und wie du sie patschifig begleiten kannst
Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Lehrpersonen & Eltern
Du begleitest Kinder beim Lesenlernen – ob im Unterricht oder zu Hause – und fragst dich manchmal:
Warum klappt es bei einem Kind so schnell, während das andere ewig braucht?
Welche Schritte sind überhaupt nötig, damit Kinder wirklich lesen können?
Und wie kannst du sinnvoll unterstützen – ohne Druck oder Überforderung?
Dann bist du hier genau richtig.
Denn Lesenlernen ist ein Prozess, der viel mehr ist als nur „Buchstaben erkennen“. Es ist ein Zusammenspiel aus Hören, Sprechen, Fühlen, Denken – und Vertrauen.
In diesem Artikel zeige ich dir:
die wichtigsten Entwicklungsstufen auf dem Weg zum Lesen,
worauf du in der Praxis achten solltest (auch bei Differenzierung),
und wie du Kinder liebevoll, klar und mit Struktur durch diese Lernreise begleitest.
1. Lesenlernen beginnt nicht in der Schule
Viele denken, Kinder lernen lesen erst in der 1. Klasse.
Tatsächlich beginnt der Prozess lange vorher:
wenn ein Kind beobachtet, wie Eltern Bücher lesen
wenn es Bilderbücher anschaut und Geschichten hört
wenn es versteht: Lesen hat eine Bedeutung
Diese frühen Erfahrungen bilden die Grundlage.
Kinder, die positive Lese-Erlebnisse haben, bringen mehr Motivation mit – und oft auch ein besseres Sprachgefühl.
Was du tun kannst (auch im Kindergartenalter):
Täglich vorlesen – mit Freude und Beteiligung
Reime, Lieder und Silbenspiele nutzen
Gemeinsam über Bilder & Geschichten sprechen
Kinder schreiben lassen – auch wenn’s nur Buchstabensalat ist
Diese Phase ist entscheidend für das Lesebewusstsein – also das Verständnis, dass hinter Buchstaben Sprache steckt.
2. Buchstaben und Laute verknüpfen – der erste grosse Schritt
In der Schule beginnt das systematische Lesenlernen mit dem Zusammenbringen von Buchstaben und Lauten.
Kinder lernen:
Das Zeichen „M“ macht mmm…
Das Zeichen „A“ macht aaa…
und gemeinsam ergibt das „ma“
Diese sogenannte phonologische Bewusstheit ist DER Schlüssel zum erfolgreichen Lesenlernen.
So kannst du unterstützen:
Laute bewusst hören & unterscheiden lassen („Was hörst du am Anfang von Ball?“)
Buchstaben mit Lauten verknüpfen – nicht mit Buchstabennamen!
Den eigenen Namen als Einstieg nutzen: Die meisten Kinder sind hier besonders motiviert
Tipp: Nutze Bewegung, Klang & Haptik – z. B. mit Legematerial, Knetbuchstaben oder Luftschreiben.


3. Silben lesen – das erste echte „Lesen“
Wenn Kinder Laute zusammensetzen können, beginnt das Lesen von Silben.
Beispiele: „ma“, „la“, „ti“, „so“.
Das Silbenlesen ist ein entscheidender Meilenstein – weil hier das erste sinnvolle Lesen stattfindet.
Kinder erkennen:
dass zwei Buchstaben zusammengehören,
dass man sie flüssig verbinden muss,
und dass daraus Wörter entstehen.
Hilfreiche Übungen:
Silbenrutschen (z. B. ma–ma, la–ma)
Silben klatschen, tippen oder hüpfen
Silbenpuzzles: Welche Silben ergeben „Mama“, „Lama“, „Tante“?
Silben in Farben markieren (Silbentrennung visuell sichtbar machen)

4. Wörter lesen – erste echte Erfolgserlebnisse
Sobald Kinder Silben erkennen, können sie kurze, lautgetreue Wörter lesen.
Typische Beispiele: Mama, Oma, Limo, Uhu, Papa, Lara
Jetzt erleben viele Kinder zum ersten Mal ein echtes „Ich kann lesen!“-Gefühl.
Dieser Moment ist goldwert – und sollte gefeiert werden!
Wichtig in dieser Phase:
Die Wörter sollten einfach, vertraut und regelmässig aufgebaut sein
Übung steht im Vordergrund – mit vielen Wiederholungen
Lesefrust vermeiden! Lieber kürzere Texte, aber mehr Sicherheit
Aufgabenideen:
Wörter lesen & malen
Reimwörter finden
Schüttelwörter ordnen
Bild-Wort-Zuordnungen
Suchrätsel mit bekannten Wörtern
Und immer wieder: laut lesen lassen – nicht im Kopf. Das unterstützt die Automatisierung.

5. Sätze verstehen – das Lesen wird „echt“
Sobald einzelne Wörter sicher gelesen werden, geht es weiter zu Sätzen und kleinen Texten.
Jetzt reicht es nicht mehr, Buchstaben oder Silben zu erkennen – jetzt muss das Gehirn verstehen, was gelesen wurde.
Viele Kinder stolpern hier – nicht, weil sie die Wörter nicht kennen, sondern weil sie sie nicht zusammenfassenkönnen.
So kannst du helfen:
Mit kurzen, vertrauten Sätzen beginnen: „Lina hat einen Hund.“ – „Der Hund rennt.“
Fragen zum Satz stellen: „Wer macht was?“ – „Was passiert hier?“
Satzteile schütteln & richtig ordnen
Sätze illustrieren lassen: „Mal, was du gelesen hast“
Fehlergeschichten: „Was stimmt hier nicht?“ → fördert aktives Lesen
6. Texte lesen und verstehen – der nächste Meilenstein
Sobald Kinder einzelne Sätze flüssig lesen können, folgt die nächste grosse Etappe: Texte verstehen.
Das klingt logisch – ist aber ein echter Sprung. Denn jetzt geht es nicht mehr nur darum, Wörter aneinanderzureihen, sondern darum, Bedeutung über mehrere Sätze hinweg zu erfassen. Kinder müssen:
viele Informationen gleichzeitig verarbeiten,
Bezüge herstellen („Wer war das nochmal?“),
und Sinnzusammenhänge erkennen.
👉 Das Lesen von Texten ist also kein Lesetraining mehr, sondern eine komplexe Denkaufgabe.
So gelingt der Übergang:
Starte mit kurzen, einfachen Texten (3–5 Sätze, vertrauter Wortschatz)
Achte auf wiederkehrende Satzmuster und klare Figuren
Kombiniere Lesen mit visueller Unterstützung (Bilder, Illustrationen)
Viele Kinder zeigen schon früh Interesse an Büchern – auch wenn sie noch auf der Satzebene lesen. Das darfst du unbedingt fördern! Vorlesen, Mitlesen, Lückentexte oder Hörtexte mitlesen – all das unterstützt diesen Übergang.
So stärkst du das Textverständnis:
Stelle gezielte Fragen:
„Was passiert in diesem Text?“,
„Was ist die Hauptidee?“,
„Wie fühlte sich die Figur in dieser Situation?“Lass Kinder Bilder zum Text malen
Fordere sie auf, die Geschichte nachzuerzählen
Verwende Leseheftchen oder Mini-Bücher mit Aufgaben
Je nach Lesestufe kannst du die Schwierigkeit Schritt für Schritt steigern – über Textlänge, Satzstruktur oder Wortwahl.
So bleibt das Lesen herausfordernd – aber machbar.
7. Differenzierung beim Lesenlernen – so gelingt’s patschifig
Lesenlernen ist kein Wettbewerb.
Jedes Kind bringt andere Voraussetzungen mit – und braucht andere Wege.
Differenzierung kann so aussehen:
| Lesestufe | Unterstützung |
|---|---|
| Kind liest noch Laute | mit Silbenrutschen arbeiten |
| Kind liest Silben | Wortspeicher + Silbenpuzzle |
| Kind liest Wörter | Satzanfänge + Lückensätze |
| Kind liest Sätze | Lesetagebuch, Fragekarten, Lesespiele |
Du musst nicht alles doppelt vorbereiten.
Ein gutes Lesespiel lässt sich oft auf mehreren Niveaus spielen – z. B. durch unterschiedliche Fragekarten oder Zusatzaufgaben.
Tipp: Kombiniere Leseübungen mit Bewegung oder Kreativität – z. B. „Lies & male“, „Lies & hüpfe“, „Lies & baue“.
FAQ – häufige Fragen von Lehrpersonen & Eltern
Wie lange dauert das Lesenlernen?
→ Ganz unterschiedlich! Manche Kinder lesen nach 6 Monaten flüssig, andere brauchen 2 Jahre. Entscheidend ist Übung, Geduld und ein positiver Zugang.
Was tun, wenn ein Kind stockt oder alles vergisst?
→ Zurück zur Silbenebene! Viele Kinder „springen zu schnell weiter“ und verlieren die Sicherheit im Aufbau.
Wie kann ich zu Hause unterstützen?
→ Lesen üben ja – aber spielerisch! Kein „Wort für Wort abfragen“. Lieber kurze Vorlese-Einheiten, gemeinsames Lesen, Lesespiele.
Welche Materialien helfen?
→ Silbenrutschen, Wortspeicher, Lesepässe, Lesedominos, Leseheftchen, Apps wie „Antolin“ oder „Leseo“ (je nach Schulkontext)
Fazit: Lesenlernen ist ein Abenteuer – kein Sprint
Kinder lernen lesen, wenn sie:
Buchstaben verstehen
Silben erlesen
Wörter entschlüsseln
Sätze begreifen
Texte erleben
Und das braucht:
Zeit
Wiederholung
Erfolgserlebnisse
und eine Lehrperson (oder Bezugsperson), die an sie glaubt
Nimms patschifig – und begleite die Kinder in ihrem Tempo durch diesen magischen Prozess.
Was hat dir beim Lesenlernen deiner Klasse am meisten geholfen? Kommentier gerne oder tausch dich mit mir auf Instagram aus 😊
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