Wie lernt ein Kind lesen?

Das Lesen lernen gehört zu den zentralen Fertigkeiten, die in der Grundschule vermittelt werden. Es ist jedoch ein Prozess, der weit über die Grundschule hinausgeht und bereits im Kindergarten beginnt. Auch das Freizeitverhalten und das Familienleben spielen eine entscheidende Rolle beim Erlernen dieser wichtigen Fähigkeit.

Die ersten Schritte zum Lesen

Die ersten Begegnungen mit dem Lesen haben Kinder meist in den frühen Jahren, oft ohne es zu merken. Sie beobachten, wie Eltern Bücher lesen, und erleben, dass Lesen ein Teil des Alltags ist. Diese Erfahrungen werden bewusst, wenn Eltern im Kleinkindalter mit ihren Kindern Bilderbücher anschauen und ihnen daraus vorlesen. Regelmässiges Vorlesen zu Hause hat einen positiven Einfluss auf den Leselernprozess. Das Nachsprechen von Reimen und das Klatschen von Silben sind ebenfalls wichtige Elemente, die den Kindern helfen, die Grundlagen des Lesens zu verstehen.

Buchstaben und Laute zuordnen

Im Kindergarten lernen Kinder, die verschiedenen Laute zu erkennen. Dabei helfen Fragen wie „Was ist der erste Laut in einem Wort?“ oder „Was ist der letzte Laut?“. Diese Übungen sind entscheidend, um ein Wort akustisch zu analysieren, was für den Lese- und Schreibprozess wichtig ist.

Die ersten Buchstaben, die ein Kind kennt, sind oft die Buchstaben seines Namens. Da das Kind den Klang seines Namens bereits kennt, kann es diese Buchstaben meist schnell mit dem richtigen Laut verbinden. In der Regel speichern die meisten Kinder zunächst das Schriftbild ihres Namens ab, bevor sie beginnen, die Laute zu analysieren. Das Interesse an Buchstaben entwickelt sich, wenn sie mit dem Lernen beginnen, und das Verknüpfen von Buchstaben mit Lauten ist ein elementarer Schritt im Prozess des Lesenlernens.

Silbenrutsche – Silben lesen

Der erste Erfolg im Leseprozess tritt ein, wenn Kinder lernen, Silben zu lesen. Sie üben zunächst Silben wie „mi“, „ma“ und „lo“ einzeln, bevor sie diese flüssig zusammenlesen. Das Zusammenschleifen der Buchstaben ist eine Schlüsselkompetenz, die es zu erlernen gilt. Das Lesetraining zu Hause ist in dieser Phase besonders wichtig, denn in der Klasse kann die Lehrperson nicht bei allen Kindern gleichzeitig kontrollieren, ob das Zusammenschleifen wirklich klappt. Wenn ein Kind die Buchstaben isoliert liest, kann der Text unverständlich werden.

Die Kinder bemerken schnell, dass das Lesen von Silben wie „Ma“ zweimal hintereinander das Wort „Mama“ ergibt. Solche Aha-Erlebnisse sind wichtig für das Leseverständnis. Kombinationen von Silben wie „La“ und „Ma“ werden von vielen Kindern schnell als „Lama“ erfasst. Mit solchen Erweiterungsaufgaben kannst du im Unterricht differenzieren und sicherstellen, dass alle Kinder auf ihrem eigenen Leseniveau gefordert werden.

Wörter lesen – Kurze Wörter verstehen

Nachdem die Laut-Buchstabenzuordnung und das Silbenlesen gefestigt sind, erleben viele Kinder ein neues Selbstbewusstsein beim Lesen. Es ist wichtig, dass diese Grundlagen gut geübt und automatisiert werden, damit Frustration vermieden wird. Andernfalls kann es zu Problemen kommen, wenn das Kind weiterhin mit der Buchstaben-Laut-Zuordnung kämpft.

Jetzt beginnen die Kinder, kurze Wörter wie „Oma“, „Lena“ und „Papa“ zu lesen, die anfangs lautgetreu geschrieben sind. Eine Vielzahl an Aufgabentypen ist wichtig, um das Wortlesen zu üben:

  • Reimwörter suchen
  • Lesen und malen
  • Wörter zusammensetzen
  • Sätze lesen und verstehen
  • Das richtige Wort ankreuzen
  • Schüttelwörter entziffern

Einige Kinder meistern die Wortebene sehr schnell, während andere viel Zeit benötigen. Gerade im Leseprozess ist Differenzierung im Unterricht entscheidend, um Unter- und Überforderung zu vermeiden.

Sätze lesen und verstehen

Sobald die Kinder die Laut-Buchstabenzuordnung, das Silbenlesen und das Wörter lesen gemeistert haben, steht die nächste Herausforderung an: das Lesen von Sätzen. In dieser Phase wird es wichtig, dass die Kinder mehrere Wörter erfassen und diese in einen sinnvollen Zusammenhang setzen können.

  • Verständnis fördern: Beginne mit kurzen, einfachen Sätzen, die aus vertrauten Wörtern bestehen. Frage die Kinder, was sie gelesen haben, um sicherzustellen, dass sie die Inhalte verstehen. Du kannst Fragen stellen wie: „Was passiert in diesem Satz?“ oder „Wer handelt hier?“. Dies fördert das Textverständnis und das kritische Denken.

  • Differenzierung im Unterricht: Einige Kinder können bereits längere Sätze lesen, während andere mit kürzeren Sätzen beginnen sollten. Differenzierte Lesematerialien sind hier hilfreich, um jedem Kind gerecht zu werden.

  • Visualisierung: Verwende Bilder oder Illustrationen, die mit den Sätzen verbunden sind. Dies hilft den Kindern, die Inhalte besser zu verstehen und macht das Lesen spannender. Wenn möglich, lasse die Kinder eigene Sätze zu den Bildern formulieren, um ihre Kreativität zu fördern.

  • Satzstruktur erkennen: Hilf den Kindern, die Struktur eines Satzes zu erkennen. Bespreche mit ihnen die Funktion von Subjekt, Prädikat und Objekt. Wenn die Kinder verstehen, wie Sätze aufgebaut sind, wird das Lesen und Verstehen einfacher.

  • Wiederholung und Übung: Biete den Kindern regelmässige Übungseinheiten, um die Satzlesefähigkeit zu festigen. Spiele wie „Satzpuzzle“ oder „Satzlesen mit Rhythmus“ können den Lernprozess spielerisch unterstützen und die Motivation erhöhen.

Texte lesen und verstehen

Sobald die Kinder die Satzebene gemeistert haben, steht die nächste Herausforderung an: das Lesen von Texten. Hierbei müssen sie nicht nur Wörter erkennen, sondern auch viele Sätze erfassen und diese in einen Zusammenhang setzen. Dies ist ein komplexer Prozess, der eine hohe kognitive Leistung erfordert.

Die Schwierigkeit kann schrittweise erhöht werden – sowohl durch die Länge der Texte als auch durch den Wortschatz. Zu Beginn lesen die Kinder einfache, kurze Texte mit 3-4 Sätzen. Viele Kinder zeigen bereits früh Interesse am Lesen von Büchern, selbst während sie noch auf der Satzebene sind.

Es ist wichtig, dass du den Kindern während dieses Prozesses durch gezielte Fragen hilfst, den Inhalt besser zu verstehen. Fragen wie „Was ist die Hauptidee des Textes?“ oder „Wie fühlte sich die Figur in dieser Situation?“ fördern das kritische Denken und das Textverständnis.

Fazit

Um den komplexen Prozess des Lesenlernens zu meistern, benötigen Kinder eine Vielzahl von Fähigkeiten:

  • Auditive Wahrnehmung: Die Fähigkeit, Laute und Rhythmen wahrzunehmen.
  • Akustische Lautanalyse: Die Analyse von Wörtern und Silben in ihren Lauten.
  • Merkfähigkeit: Die Fähigkeit, Informationen zu speichern und wieder abzurufen.
  • Laut-Buchstabenzuordnung: Das Verknüpfen von Lauten mit den entsprechenden Buchstaben.
  • Visuelle Wahrnehmung: Die Fähigkeit, Buchstaben und Wörter zu erkennen und zu unterscheiden.
  • Wortschatz: Ein reicher Wortschatz ist notwendig, um Texte zu verstehen.
  • Konzentration: Die Fähigkeit, sich auf den Text zu fokussieren.
  • Logisches Denken: Die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen.

Wenn du als Lehrperson oder Elternteil beim Leselernen ungeduldig wirst, denke daran: Das Erlernen einer neuen Sprache erfordert ebenfalls Geduld und Motivation. Gib deinen Kindern die Zeit, die sie benötigen, um erfolgreich zu lesen, und unterstütze sie auf diesem wichtigen Weg.

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